Darf eine Ehefrau die Scheidung verlangen, wenn sie ihren Ehemann nicht mehr liebt oder sogar verabscheut?

04. Februar 2021 / EhevertragRechte und PflichtenScheidung und Auflösung /
Was soll die Frau machen, wenn der Ehemann die Scheidung nicht gibt? Hat die Frau das Recht den Ehemann zu verlassen (Scheidung), wenn die Frau kein Empfinden mehr hat oder wenn die Liebe in der Ehe nicht mehr existiert. Wäre es erlaubt die Ehe zu beenden, wenn einer von den beiden keine Liebe mehr empfindet oder wenn Abneigung existiert?


Antwort:

Möge Allāh dich segnen. Im Islam gibt es sowohl die Möglichkeit einer Eheschließung als auch einer Scheidung. Die geehrte fragende Schwester hat wichtige Gründe erwähnt, die zu berücksichtigen gelten und auf die wir später – so Allāh will – eingehen werden. Es wird zwar kein Mensch gezwungen mit jemanden zusammenzuleben, den man nicht will, aber der Islam hat für die richtige Umgangsform gewisse Regeln, die einzuhalten gelten.
Die Antwort auf Frage der geehrten Schwester besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist ein Denkanstoß und gut gemeinter Ratschlag für die Verheirateten und der zweite Teil ist die Antwort darauf, ob man als Frau die Scheidung verlangen darf oder nicht und von Allāh kommt jeglicher Erfolg.
 
1.) Eine Empfehlung für die muslimische Ehefrau.
 
Sehr oft sind Gefühle und Emotionen Gründe für eine Ent(scheidung), die nicht gut durchdacht ist. Emotionen kommen und gehen, können stark und schwach sein, aber für den Erhalt einer Ehe sollte man nicht darauf aufbauen und vielmehr Stimmungsschwankungen ignorieren. Stimmungsschwankungen können verschiedene Ursachen haben und müssen nicht immer mit dem Ehepartner begründet werden. Hat man einen Tiefpunkt erreicht, sollte man wissen, dass danach auch ein Hoch kommen wird. Das Leben hat nunmehr Höhen und Tiefen und so auch eine Ehe. Allāh der Erhabene sagt im qurʿān (sinngemäß): "Also gewiss, mit der Erschwernis ist Erleichterung, gewiss, mit der Erschwernis ist Erleichterung." (94:5-6). Was die Erleichterung an dieser Stelle bedeutet, kann man hier nachlesen: https://hadrous.de/faqs/ich-befinde-mich-in-einer-schweren-pruefung-und-weiss-nicht-was-ich-machen-soll/
 
Über die Zusammenkunft zweier Menschen für eine Ehe, sagt Allāh der Erhabene (sinngemäß): "Und es gehört zu Seinen Zeichen, dass Er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen Ruhe findet; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken. " (30:21)
Zwei Menschen, die sich nicht kannten und aus zwei verschiedenen Familienverhältnissen in eine Ehe zusammenkommen, finden zueinander und Leben friedsam und in einer Harmonie miteinander. „Damit ihr bei ihnen Ruhe findet“, also hauptsächlich der Ehemann bei den Ehefrauen, ist ein wichtiger und essentieller Bestandteil einer guten Ehe. Sofern der Mann bei seiner Ehefrau diese Gelassenheit, Ruhe und Harmonie verspürt, wird auch sie im Gegenzug diese Gelassenheit zu spüren bekommen. Findet der Mann diese Ruhe nicht, wird es sehr schwierig, dass eine Frau ihre gewünschte Harmonie bekommt. Dann sagt Allāh, der Erhabene (sinngemäß) "... und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt..." Diese Zuneigung oder Milde zueinander ist wichtig, weil sich jeder einzelne der beiden Ehepartner einen milden Umgang und schöne Zuneigung wünscht. Diese Emotionen, welche darauf aufbauen, sind für das Beleben der Ehe in all ihren Facetten wichtig. Ein Ehepartner wünscht sich geliebt zu werden und zu lieben. Die Erwartungen sind in diesem Punkt sehr hoch und manch einer benötigt mehr Zuneigung als der andere. Es gibt verschiedene Charaktere und somit verschiedene Arten der Wahrnehmung, aber das innere Gefühl der Ruhe, der Milde und der Zuneigung befindet sich im Herzen und dies ist für jeden spürbar, wenn auch das manchmal an einer Person nicht zu erkennen ist. Zuneigung ist der eine Teil und Barmherzigkeit der andere. Ehepartner haben zueinander bestimmte Rechte und Pflichten, welche ihren Ursprung im Islam haben, und doch kann es mal passieren, dass ein Ehepartner nicht in der Lage ist dem anderen sein volles Recht zu geben. Hierfür kann es viele Ursachen geben. An dieser Stelle ist die 'Barmherzigkeit' erforderlich, sodass man gegenüber seinem Ehepartner nachsichtig bleibt. Diese drei Punkte (Ruhe, Milde und Barmherzigkeit) bilden das Fundament für eine gute Ehe. Die Ruhe zu finden, die Milde zu geben und barmherzig zu sein. Sehr häufig kann man Eheprobleme lösen, indem man miteinander über die vorhandenen Probleme redet und ein offenes Ohr für den Ehepartner bei einer ruhigen Minute hat. Stellt man dabei das Erreichen eines gemeinsamen Ziels in den Vordergrund und baut man sein Gespräch hierauf auf, wird man - in schāʾ Allāh - erfolgreich sein und seine Freude an seinem Ehepartner wiederfinden.
Zu den Ursachen für das Scheitern einer Ehe gehören auch äußere Einflüsse, wie z.B. durch den Sātan. Wisse, dass wir Menschen einen unsichtbaren Feind haben, der sich darüber freut, wenn eine muslimische Ehe zerstört wird und dass Iblīs täglich seine Gefolgsleute rausschickt, damit sie ihr Unheil zerstreuen. Der Prophet (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) sagte: „Wahrlich, Iblīs hat seinen Thron auf dem Meer und er sendet seine Truppen hinaus. Der ihm am nahest stehende ist derjenige, der die gewaltigste Zwietracht (Fitnah unter den Menschen) verursacht. Wenn einer der Sātane nach einer Mission zurückkehrt und Iblis berichtet: ‚Ich habe dies und jenes getan! ‛ antwortet Iblis: ‚Du hast nichts vollbracht! ‛ Daraufhin kommt ein anderer und sagt: ‚Ich habe diese und jene Person nicht eher verlassen bis ich ihn von seiner Frau getrennt habe.‘ So kommt er ihm näher und sagt zu ihm: "Wie gut du doch bist!"“ (Muslim, Nr. 2813) In einem weiteren Ausspruch von Al-Aʿmash, der berichtete, dass Urāh sagte: „so verpflichtet er ihn.“ Dies bedeutet, dass Iblīs ihn umarmt, sich ihm nähert und lobt, wenn er eine Frau von ihrem Ehemann trennte.
Sowohl der Ehemann als auch die Ehefrau müssen sich dieser Realität bewusst sein und schauen, ob sie nicht selbst Grund dafür sind, dass die Zuneigung und die Milde in der Ehe fehlen. Wenn Hoffnung besteht, dann sollten beide Ehepartner von ihrem eigenen Standpunkt ein wenig zurücktreten und auf den anderen zugehen, sodass ein Miteinander wieder möglich ist. Für Ehefrauen empfiehlt es sich folgenden Vortrag über die Eigenschaften der rechtschaffenen Ehefrau zu hören und zu schauen, ob die ein oder andere Eigenschaft erwähnt wird, womit sie ihren edlen Charakter noch weiter ausschmücken kann:
https://hadrous.de/playlists/sonstige-vortrage?audio=die-rechtschaffene-ehefrau-ihre-eigenschaften-im-lichte-von-quran-und-sunnah/
 
Und von Allāh kommt jeglicher Erfolg.
 
2.) Kann sich eine Frau von ihrem Mann trennen und die Scheidung verlangen?
Der Islam hat dem Mann und der Frau gewisse Rechte zugesprochen. Beide Ehepartner müssen Allāh darin fürchten und ihren Pflichten nachkommen. Eine Ehe ist eine vertragliche Bindung zwischen Mann und Frau, die durch einen Ehevertrag entsteht und die durch eine der folgenden vier Möglichkeiten endet. Zur Trennung der Ehepartner kann es kommen durch:
2.1)  Talāq (Scheidung), durch den Willen des Ehegatten
2.2)  Chulʿ (Trennung auf Initiative der Ehegattin), durch den Willen der Ehegattin
2.3)  Tatlīq (Zwangsscheidung) oder Faskh (Eheauflösung), durch ein richterliches islamisches Urteil
2.4)  Tod eines der beiden Ehepartner
 
Im Islam darf eine muslimische Ehefrau die Scheidung jedoch nicht ohne einen islam-konformen Grund verlangen. Beispielsweise kann sie keine Trennung verlangen, weil sie einfach keine Liebe empfindet oder weil Probleme in der Beziehung entstanden sind oder z.B. um einen anderen Mann zu heiraten. Wenn eine Frau die Trennung verlangt und keinen islam-konformen Grund hat, wird sie den Duft des Paradieses nicht zu riechen bekommen, so in einem Ausspruch von Thaubān (Möge Allāh mit ihm zufrieden sein), dass der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) sagte: "Einer Frau, die von ihrem Ehemann ohne triftigen Grund die Scheidung verlangt, ist der Geruch des Paradieses verboten." (Sunan Abū Dāwūd, Nr. 2226, sahīh nach Albāni)
 
Was ist aber, wenn die Frau nun wirklich nicht mehr mit dem Mann zurechtkommt, z.B. wegen seinem Aussehen oder Gerüchen, seinem Auftreten, seinem schlechten Umgang oder Ähnliches und sie deswegen nicht mehr mit ihm zusammenleben kann, sodass sie eine Abscheu gegenüber diesem Mann verspürt?
Erreicht eine Frau solch einen Zustand, steht sie vor einer schwierigen Entscheidung. Sie muss sich klare Gedanken verschaffen und wissen, dass sie ‚als Ehefrau‘ trotz ihres Empfindens gewisse Pflichten gegenüber ihrem Ehemann hat, auch wenn sie ihn verabscheut. Um sich davor zu schützen ihm kein Unrecht anzutun, muss die Ehefrau eine klare Entscheidung treffen. Entweder gibt sie ihm sein Recht als Ehefrau oder sie verlangt die Trennung aufgrund der Abscheu, die sie in sich trägt und es ihr nicht erlauben dem Ehemann sein Recht geben zu können. Der folgende Ausspruch soll dieses Verantwortungsbewusstsein und die Gefahr für eine Ehefrau verdeutlichen: „Sie (eine Frau) kam für ein bestimmtes Anliegen zum Gesandten Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) und als er ihr Anliegen beendete, fragte er sie: ‚Bist Du eine verheiratete Ehefrau?‘, sie sagte: ‚Ja!‘, Er fragte sie: ‚Welchen Stand hast Du bei ihm?‘ woraufhin sie antwortete: ‚Ich lasse ihm nichts (keine Wünsche) offen, außer das, wozu ich nicht in der Lage bin!‘, er sagte: ‚Schau, welche Stellung Du bei ihm hast! Wahrlich, er ist dein Paradies und deine Hölle!‘“ (As-Sunan al-Kubra, Nr. 8913, sahīh nach Albāni)
 
Geehrte Schwester, es geht hier in diesem Ausspruch tatsächlich um die Zufriedenheit deines Ehemannes dir gegenüber. Wenn Du also nicht in der Lage bist deinen Ehemann zufriedenzustellen, weil diese gewisse Abscheu im Herzen vorhanden ist, solltest Du nach gründlicher Überlegung zu einem Entschluss kommen, so wie im folgenden Ausspruch erläutert und eine der Gefährtinnen praktizierte: „ʿAmrah, die Tochter von ʿAbdurrahmān ibn Saʿd Ibn Zurārah, berichtet, dass Habībah, die Tochter von Sahl, al-ʾAnsāriyyah, mit Thābit ibn Qays ibn Shammās verheiratet war und dass der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) zum Morgengebet hinausging und Habībah, Sahls Tochter in der Dunkelheit bei seiner Tür antraf. Der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) sagte: „Wer ist das?“ Sie sagte: „Habībah, die Tochter von Sahl.“ Er sagte: „Was ist mit Dir?“ Sie sagte: „Weder ich passe zu Thābit ibn Qays, noch er zu mir.“ Als dann Thābit ibn Qays kam, sagte der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) zu ihm: „Dies ist Habībah, die Tochter von Sahl. Sie hat einiges gesagt.“ Habībah sagte: „O Gesandter Allāhs! Alles, was er mir gegeben hat, habe ich noch!“ Da sagte der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) zu Thābit ibn Qays: „Nimm von ihr.“ Da nahm er sie von ihr und sie blieb bei ihrer Familie.“ (Sunan Abū Dāwūd, Nr. 2227, sahīh nach Albāni) und in einem weiteren Ausspruch beklagte sie:
Ibn Abbas (Möge Allāh mit ihm zufrieden sein) überliefert, dass die Frau von Thābit Ibn Qays zum Propheten (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) kam und sagte: „O Gesandter Allāhs, ich hasse nichts an Thābit, weder seinen Charakter noch seinen Glauben. Aber ich fürchte den Unglauben.“ Der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) sagte: „Gibst du ihm seinen Garten zurück?“ Sie sagte: „Ja!“ Der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) sagte: „Nimm den Garten an und sprich einmal die Scheidung aus.“ (Buchārī, Nr. 4867) Mit ihrer Aussage: „Aber ich fürchte den Unglauben“, ist gemeint:
„Ich fürchte etwas zu tun, was den Regeln des Islams widerspricht, wie der Zorn des Ehemannes, ihm zuwider zu handeln und nicht seinen Rechten nachzugehen etc.“ (sharh ‚Fath al-Bārī‘ (9/400).
Diese Frau befürchtete, wenn sie mit ihrem Mann bleibt, obwohl sie ihn hasst, dass sie seine Rechte vernachlässigt und ihm zuwiderhandelt, wodurch sie sich mit Sünden belastet. Daraufhin hat Habībah (Möge Allāh mit ihr zufrieden sein) die Auflösung der ehelichen Beziehung aufgrund der Abscheu, die sie in sich trug, verlangt und zugesprochen bekommen. Der Prophet (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) forderte ihren Ehemann dazu auf, die Trennung durchzuführen und im Gegenzug seine Geschenke zurückzunehmen.
Wenn eine Ehefrau die Trennung verlangt, können sich beide Ehepartner für etwas einigen und aufgrund dieser Einigung sich voneinander trennen. Als Leistung im Gegenzug zum Ausspruch der Scheidung taugt alles, wozu man sich rechtlich verpflichten kann, soweit einen die Leistung nicht offensichtlich in Bedrängnis bringt, bzw. unverhältnismäßig hoch ist. Es gibt jedoch weder eine Unter- noch eine Obergrenze für die Leistung. In einem weiteren Ausspruch legte der Gesandte Allāhs (Allāh segne ihn und gebe ihm Heil) die Dauer der Wartezeit (ʿidda) nach dieser Trennung fest, sie beträgt einen Menstruationszyklus.
Liebe geehrte Schwester, das islamische Recht ist jedoch darauf bedacht einen Fortbestand der Ehe zu gewährleisten und zu vermeiden, dass Differenzen zwischen den Ehepartnern sich vertiefen und bemüht das Auftreten von Scheidungsfällen möglichst zu reduzieren. Daher sind beide Ehepartner dazu aufgerufen geduldig mit dem Lebenspartner zu sein und seine Fehler - solange man es ertragen kann - auszuhalten. Doch Allāh weiß es besser.